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Tübingen - An der Börse kennt man den Panikverkauf: Ein Anleger sieht die Kurse fallen und entscheidet sich rasch zum Verkauf, um seine Verluste zu beschränken. Dieser Fluchtreflex ist im Gehirn tief verankert: Er stammt aus einer Zeit, als es hilfreich war, vor dem Säbelzahntiger zu fliehen, ohne vorher das Für und Wider abzuwägen. Moderne Büromenschen, so die verbreitete Ansicht, haben schwer an diesem evolutionären Erbe zu tragen. Sie müssen Meetings durchstehen und Kursverluste ertragen, obwohl sie lieber sofort aussteigen würden.

Der Neurowissenschaftler António Damásio, der diese Woche an der Universität Tübingen zu Gast ist, sieht das anders (beispielsweise in dieser Studie): Er hat in seiner wissenschaftlichen Karriere genügend Patienten ohne Fluchtreflex kennengelernt. Bei ihnen ist die Amygdala zerstört, eine kleine Hirnregion, die auch als Angstzentrum bezeichnet wird. Bei diesen Patienten hat Damásio mit seiner Frau und Ko-Forscherin Hanna beobachtet, dass sie aus ihren Fehlern nicht lernen. Was wie ein Vorzug wirkt, entpuppt sich als großer Nachteil: Man spürt den Fluchtreflex selbst dann nicht, wenn es wirklich notwendig wäre. Und der Verstand, der die Verluste ebenfalls kommen sieht, ist kein vollwertiger Ersatz. Auch wenn die Intelligenz der Patienten ansonsten nicht beeinträchtigt ist, gehen sie unnötige Risiken ein und sind bald bankrott. Im Laborversuch kommen sie selbst mit Spielgeld nicht zurecht (siehe 2. Seite).

Der Fluchtreflex, argumentiert das Forscherpaar Damásio, ist notwendig, damit man lernt, wie es ist, in Gefahr zu sein. Nur wer dieses unangenehme Gefühl kennt, hat das Zeug, um sich davor zu schützen. Das Geschehen an der Börse mag zwar rein rechnerisch zu erfassen sein, doch dafür ist der Verstand nicht geschaffen. Ein brillanter Ökonom, so die These der beiden Hirnforscher, würde bald sein Kapital verlieren, wenn er nicht auch über Emotionen verfügen würde, die ihn vor gefährlichen Situationen zurückschrecken lassen.

 

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Quelle: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ant-nio-dam-sio-ohne-gefuehle-lernt-man-nichts.ef3be264-12b5-4461-a333-2a8fe3f6a430.html